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SÜDKURIER                       28.02.2007                                                           

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es war als eine Huldigung an Marcel Duchamp gedacht. An jenen vor genau 120 Jahren geborenen französischen Objekt-Künstler, der das gesamte Ausstellungswesen revolutioniert hat. 1917 stellte er sein "Urinoir" aus, das handsignierte Stehbecken für Männer. Andere Industrieprodukte folgten: Duchamps "Flaschentrockner" oder sein auf einen Hocker montiertes Fahrrad-Vorderrad. Mit solchen "ready-mades" stellte er das vorherrschende Museumskonzept in Frage. Er kratzte an der damals gültigen Ästhetik. Dies indem er deren vermeintlich ewig gültigen Werten die Wahrnehmungen aus der Warenwelt entgegenhielt. So wie das seinerzeit übrigens noch eine ganze Reihe anderer Künstler gewagt haben - wenn auch mit weitaus weniger Erfolg als Duchamp.

Und eben diesem Marcel Duchamp wollte Matthias Keller, einer der beiden derzeit in der hiesigen Stadtgalerie ausstellenden Künstler huldigen: Durch seine "Hommage à Marcel Duchamp", wie es in der Einladung hieß. Einige Tage lang standen sie in den Schaufenstern der Ausstellungsräume an der Ulrichstraße. Außer einem Hinweis auf das Datum war das berühmte Schach-Bild des französischen Künstlers zu sehen. Das zeigt Duchamp bei einer Schach-Partie mit einer unbekleideten Dame. Beide beugen sich über ihre Spielfiguren und sinnen offenbar über ihre nächsten Züge nach.

Wie Kellers Hommage an Marcel Duchamp näher aussehen sollte, das ging aus dem DIN-A5-großen Einladungsplakat nicht hervor. Nur so viel hatte der Markdorfer Künstler durchblicken lassen: Auch seine Partnerin sollte hüllenlos spielen. Was indessen die Einwände des Kunstvereinsvorstands gegen die geplante Darbietung geweckt hat. Aus "organisatorischen Gründen" müsse die Veranstaltung in veränderter Form stattfinden, hieß es deshalb am Montagabend auf einem neuen Plakat. Pünktlich um neun trafen der Künstler und die Schachpartie-Partnerin ein. Matthias Keller wollte keinen Kommentar abgeben. Statt dessen sprach Angie Mergel, eine junge Frau aus Konstanz, die für Kunststudierende Modell steht. Sie freue sich auf die Schachpartie, sagte sie. "Ja, ich hätte auch nackt gespielt", erklärte sie weiter. Anschließend verschwand sie im Inneren der Galerie. Später war sie wieder von draußen zu sehen. Matthias Keller gegenüber saß sie am Schachbrett, eingehüllt in eine Decke.

Das Ausstellungsteam des Kunstvereins sei zu spät informiert worden, erklärte Bernhard Oßwald, der Erste Vorsitzende des Kunstvereins. Er selber habe erst am Montag davon erfahren. "Wir wollten die Sache dann nicht übers Knie brechen." Dies um so weniger als das Ausstellungsteam des Vereins massive Einwände vorbrachte: Niemandem habe eingeleuchtet, worin der Sinn liege, Duchamps Schachspiel heute zu kopieren. Überdies erachtete das Team Kellers Vorhaben als unpassend, da es sich ins ausgestellte Hieronymus-Projekt des Künstlers kaum einfügen lasse.

Die Nacktheit sei im Übrigen nicht das ausschlaggebende Kriterium, erläuterte Herbert Schnekenburger, Vize-Vorsitzender des Vereins. Aus seiner Sicht sei - im Rahmen einer anderen Konzeption - ein ähnliches Schachspiel durchaus denkbar. "Aber dann bitte mit ironisch vertauschten Rollen", so Schnekenburger, "das bekleidete Aktmodell spielt gegen einen entblößten Maler."

 

Jörg Büsche

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