MATTHIAS KELLER
Malerei / Grafik / Installationen
Südkurier | Tettnang | 16.02.2016 | Harald Ruppert
Seiltanz auf dem Chaos der Welt
„Irrlicht & Schattenbilder“ – Malerei von Matthias Keller in der Städtischen Galerie in Tettnang
Noch vor einigen Jahren wurde diskutiert, ob das vermeintlich altbackene Medium der Malerei noch ins Heute passt. Inzwischen hat sich der Wind gedreht, und wenn man sich in Tettnang die Bilder des Markdorfer Künstlers Matthias Keller besieht, darf man sagen: zu Recht.
Kellers Malereien wirken wie Bildsymbole der Gegenwart. Und das nicht nur, weil seine glatten und von Grund auf schiefen Häuserfassaden wirken, als entstammten sie der virtuellen Welt des Computers – eine chaotische Welt, in der nur deshalb überhaupt noch ein Stein auf dem anderen steht, weil alles zugleich zusammenstürzen möchte.
Verschrobener Turm zu Babel
Man kann Kellers Bilder als Chiffren auf unserer westlichen Lebensverhältnisse lesen – in politischer, wirtschaftlicher und moralischer Hinsicht. Heute noch stärker als im Sommer 2014, als er Arbeiten aus dieser Reihe in der Plattform 3/3 zeigte. IS, Flüchtlingskrise, ein neu aufziehender
Kalter Krieg; die Welt ist aus den Fugen, das Heute wie auf Sand gebaut, und ratlos machen wir weiter wie bisher. Was bleibt sonst auch übrig. Dabei entsteht ein Irrgarten wie der in Kellers Bild „Jeux dangereux III“, wo Kisten geschoben, Säcke getragen und Planen geschleppt werden, wie zur Errichtung eines Turms zu Babel, den kein Allmächtiger mehr zertrümmern muss; den Himmel wird dieses verschrobene Ineinander sinnloser architektonischer Versatzstücke ja doch nie erreichen.
Absurdes Theater des Realen
Kellers Bilder zeigen ein absurdes Theater, das nur allzu wirklich ist. Die Szenerien sind unwirklich, so wie uns die lange Zeit stabilen deutschen Lebensverhältnisse unwirklich erscheinen, seitdem sie „langsam und plötzlich“, wie es bei Max Frisch heißt, auf den Kopf gestellt wurden. Nun reibt man sich die Augen, versucht einen Überblick über die Lage zu gewinnen und trifft doch überall nur auf Analysen, die auf andere Analysen verweisen. Die Zeiten scheinen vorbei, in denen der Diskurs zur Klärung beitragen konnte. Viele wünschen sich wieder einen, der das Gerede der Differenzierer zerschlägt, der auf den Tisch haut und Klartext statt Klärung liefert. Festzuhalten bleibt: Je mehr sich die Welt in ein Pulverfass mit kürzer werdender Zündschnur verwandelt, desto mehr verwandelt sie sich auch zum bloßen Spielball, der aufgeregt hin und her geworfen wird. Auch dies ein „gefährliches Spiel“, fatalerweise mit steigendem Unterhaltungswert. Ballspiele begegnen einem auf Matthias Kellers Bildern zwar nicht – dafür aber, in „Magnification“, eine Vielzahl von Spiegeln und Zerrspiegeln, die einander gegenseitig ihre Abbilder zuspielen, bis die Perspektive auf die „echte“ Welt ausgelöscht ist. Daraus scheint jemand seine Konsequenzen gezogen zu haben: Auf einem leeren Stuhl liegt eine Brille. Ihr Besitzer hat sich davongemacht. Hier gibt es schließlich nichts zu sehen, was Aufklärung verspräche.
Informationen als Spektakel
Dabei gibt Keller die Hoffnung auf Einsicht und (Selbst-)Erkenntnis nicht verloren: Mitten in der Ausstellung hängt – unauffällig, abgesondert und ziemlich hoch – ein kleiner Spiegel. Wer sich anstrengt und auf die Zehenspitzen stellt, kann sich in die Augen sehen. Matthias Kellers Bilder illustrieren einen fatalen Zusammenhang zwischen Verwirrung und Schauwert. In seiner Fraktal-Malerei stoßen geometrische Details aus unterschiedlichen Perspektiven aufeinander, wo sie zu komplexen Gebilden verklumpen. Sie erscheinen konfus, aber auch hoch aufregend, ähnlich wie das ununterscheidbar werdende Stimmengewirr von „Experten“, die einander in Talkshows widersprechen. In Kellers Malerei wie in diesen Diskussionen verwandeln sich differenzierte Informationen zum ästhetischen Spektakel. Überall zu viel und überall Durcheinander, auch im Triptychon „Desierto“, wo der Blick in eine Bücherstube geht und ratlos über eine Unzahl farbiger Buchrücken schweift. Durch die offene Tür wird eine zweite Bücherkammer sichtbar, eine dritte, und es werden wohl noch unzählige folgen, denn der Gang verliert sich in der Ferne. Der Mensch, wenn er vorhanden ist, wird in diesen Szenerien wahlweise zum apathisch wirkenden Statisten, zum Aktionisten, der irgendwelche Tätigkeiten verrichtet und sich so ins Chaos einordnet, oder aber zum Artisten, der auf einem Seil über den Abgründen windschiefer Häuserschluchten balanciert. Unter diesen Figuren ragt die letzte heraus. Der Seiltänzer kann an der Absurdität seiner Umwelt nichts ändern. Aber er kann seine Seile spannen, er kennt die Gefahr des Absturzes und setzt seine Schritte deshalb sorgsam.
Bis 20. März in der Städtischen Galerie im Schlosspark in Tettnang. Geöffnet donnerstags bis sonntags von 15 bis 18 Uhr, Eintritt frei.