MATTHIAS KELLER
Malerei / Grafik / Installationen
SÜDKURIER Konstanz 24.11.2015
Joachim Schwitzler
Kultur Zwischen bunten Leuchtstoffröhren und einem Blatt Papier
Die Neuwerk Kunsthalle Konstanz präsentiert Gezeichnetes aus der Region und für die Region
Einmal mehr ist die „Neuwerk Kunsthalle“ über sich hinausgewachsen und präsentiert mit einer hochkarätig besetzten Ausstellung „Gezeichnetes“ – aus der Region für die Region – und weit darüber hinaus. Matthias Holländer, Davor Ljubicic und Boris Petrovsky etwa sind Künstler aus der Region und bespielen gleichzeitig internationale Bühnen. Und umgekehrt ist Nähe, sprich Region, nicht gleichbedeutend mit „weniger Qualität“ – im Gegenteil. Auch hier gilt, wie man schön an den Arbeiten eines Antonio Zeccas, eines Albert Richard Pfriegers oder bei Susanne Kiebler – die einzige Künstlerin – sehen kann: weshalb in die Ferne schweifen, wo das Gute ist so nah?
Weitläufig hat die Zeichnung gegenüber der Malerei, sofern beide zueinander in Beziehung gebracht werden, keinen leichten Stand. Zahlreichen Gemälden gehen in der Regel Skizzen voraus. Zeichnung als Skizze gerät dadurch zu einer Art Vor-Form, die über den Charakter eines Entwurfs kaum hinauskommt. Erst durch die Malerei wird das Bild als Fertiges geadelt. Ein Klischee und Vorurteil. Tom Leonhardt zum Beispiel behandelt Zeichnung und Malerei als zwei gleichwertige, voneinander unabhängige Kunstformen. Die Malerei sei wie ein Roman, „die Zeichnung ist Lyrik.“ Zeichnung bedeutet, einmal angefangen geradewegs loszulaufen, kein Unterbrechen, kein Innehalten, kein Zweifeln.
Zeichnung ist schnell und spontan und mit dem Mut zur Lücke, zum Flüchtigen, zum Verfehlen. Darin liegen ihre Schönheit und Größe. In ihrer schlichten, unmittelbaren und filterfreien Annäherung an die Welt und deren Dinge. „Die Lichthüterinnen von Fukushima“ nennt Leonhardt nicht ohne bittere Ironie seine in kleinen Quadraten gerahmten Fragmentzeichnungen, China-Tusche auf Papier, die hier für diese Ausstellung in bereits fertigen und noch unabgeschlossenen Zyklen ihren Niederschlag gefunden haben. –
Der im Grunde höchst kurzen Ausstellungsdauer von nur einer Woche gewinnt der Künstler aus Wangen noch zusätzlich Positives ab, indem er bis zur Finissage mehrere Stunden täglich im Ausstellungsraum zeichnerisch tätig sein wird – und damit zugleich Fragen von Besuchern als kompetenter Ansprechpartner beantworten will.
Auch im Werk des Bildhauers Markus Daum positioniert sich die Zeichnung als eigenständiges Medium. Gegenüber seiner Installation „Mare Nostrum. Weites Ufer – Tiefer Grund“ (2015) artikulieren die beiden großformatigen Radierungen „Larmes“ und „Cage es larmes I“ (beide 2015) Kraft und Würde des zeichnerischen Akts. Wo das Gute ist so nah: Susanne Kiebler zog trotzdem in die Ferne und nutzte damit einen zweieinhalb Monate dauernden Lehraufenthalt in Ulan Bator (eigentlich „Ulaanbaatar“), die Hauptstadt der Mongolei, um während eines internationalen Schülerprogramms Leute und auch das Land näher kennenzulernen. Ihre in Linie und Form sich sehr verhalten gebenden „mongolischen“ Zeichnungen sind Kieblers Faszination vor allem für das weite, karge Land geschuldet.
Wobei Kargheit hier Reichtum meint. Während die Fülle hiesiger Landschaften das Auge schier erschlägt, bleiben dem Augensinn und seinen Geschwistern in den weitgehend noch kargen Regionen der Mongolei viel Luft zum Atmen – und dem Geist Raum zum Schwingen. Auch das ist eine Form von Freiheit.
Während Antonio Zecca und Matthias Keller das Wesen der Zeichnung auch räumlich in großen Serien und Tableaus zelebrieren und der Vereinzelung des gezeichneten Subjekts neben dessen Fragmentierung durch eine redundante Vervielfachung von Räumen und Objekten das Unausweichliche zurufen, begnügen sich Albertrichard Pfrieger, Davor Ljubicic und Boris Petrovsky mit wenigen, aber nicht weniger wirksamen Präsentationen.
Formal eher konventionelle und dennoch längst nicht ausgereizte zeichnerische Artikulationen wie bei Pfrieger und Ljubicic korrespondieren mit der Transformation von Zeichnung in die ambivalente Leuchtkraft lichtkünstlerisch subsumierter Lineamente wie bei Petrovsky. Für ihn bilden Zeichnungen das „Herstellen eines Erregungszustandes“. Damit öffnet sich der Geist für Inspirationen und den Fluss an Ideen.
Eine letzte, fotografische Position von „Gezeichnet“.
Erstmals in dieser Ausstellung zeigt der Maler und Fotograf Matthias Holländer aus Langenrain Auszüge aus seinem neuen, 2015 entstandenen Zyklus „Boycheck“. Grundlage dafür bildet eine kleine, mehrere Jahrzehnte alte Sammlung von Gewebe-Präparaten pathologischen Ursprungs, an die Holländer durch einen glücklichen Zufall gelangte. Seinerzeit von höchst medizinischer Bedeutung, werden die größtenteils ausgebleichten Präparate bei Holländer mithilfe von drucktechnischen und digitalen, fotografischen Verfahren in eigenständige Texturen und Strukturen überführt. Sie wirken wie „Gezeichnet“.
Das ist übrigens auch der Titel dieser Ausstellung, die von Davor Ljubicic initiiert und kuratiert worden ist.
Bis 29. November, Mo-Sa 18-20 Uhr, So 15-18 Uhr. Finissage: So 29. November um 15 Uhr, die Künstler sind anwesend.