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Dr. Friederike Lutz: Vernissage Matthias Keller, „parallele welten“, Kunstfreitag, 4. Juli 2014, in der Plattform 3/3 in Friedrichshafen

 

Also, still ist es in diesem Atelier keinesfalls. Da liegen Schachteln, Ständer für Bilder, Stühle, Bilderrahmen, Papier kreuz und quer. In der unteren Ecke eine Palette, fast unbemerkt. Absurdes Rumgeturne zweier weiblicher Akte auf Bildern an den Wänden. Und dazwischen: vermutlich der Künstler, der die Wand hochgeht. Wundert´s? Und gleich gespiegelt wie ein Negativ wieder dieser Künstler. Dieses Mal eingesperrt in einen Rahmen.

 

Schließlich nur angeschnitten im Bild: die einzig vermeintlich reale Figur, von der man aber nur Teile sieht. Am Fotostativ scheint sie zu warten, um das Chaos, das „atelierstilleben“ auf dem gleichnamigen Bild einzufangen.

 

Ein Bild, das mit den dargestellten Ebenen spielt. Allein auf diesen 80 mal 80 Zentimetern Leinwand ist keinesfalls klar, was innerhalb der Realität des Bildes real ist, was irreal, was geträumt, was als Bild im Bild gemalt, was im Bild gemeinte, sozusagen „echte“ Figur ist. So geht Matthias Keller mit seinen Welten, die er im Kopf entwickelt, um:

Hemmungslos und doch respektvoll. Hemmungslos vermischt er die Ebenen, schiebt sie übereinander, stellt sie in Frage – und lässt den Betrachter quasi im Regen stehen. Keller kann das gar nicht anders, denn vermutlich ist er nur ein bisschen schlauer als der Betrachter, der seine merkwürdigen Szenen verstehen möchte.

 

So wie im Traum: man erlebt eine Geschichte, eine Episode, die doch komisch verzerrt ist, die Dinge zusammenbringt, die nicht zusammengehören, die Geschehen möglich macht, das doch eigentlich unmöglich ist. Sie kennen das alle. Und auch die Ratlosigkeit kennen sie, die einem oftmals nur nach dem Aufwachen bleibt.

 

Und eben auch dieser Wahrnehmungsebene des Traums, die dem Menschen doch zu Eigen ist, scheint Keller mit Respekt gegenüber zu stehen. Er wischt sie nicht weg, sondern nimmt sie ernst als eine Bewusstseinsform, von der wir nicht wissen, ob sie nicht doch mehr bedeutet, als wir ihr gemeinhin zubilligen. Eines seiner Bilder betitelt er entsprechend „nightmare“, also Alptraum. (Sie finden es im Katalog, den ich Ihnen wirklich empfehle.) In diesem Bild, in dem die Formen, Körper und Figuren zu stürzen und durcheinander zu purzeln scheinen, zitiert Keller einen Ausschnitt aus dem berühmten Gemälde von Edward Hopper, „Nighthawks“ / Nachtschwärmer. Hopper thematisiert hier die Leere und Einsamkeit, die Verlorenheit als ein Zustand seiner Zeit. Keller greift dieses Gefühl in „nightmare“ auf, aber formuliert es in einer Fülle, die Angst macht, irritiert, die verwirrt.

 

Natürlich ist mir bewusst, dass ich vielleicht nur hilflose Versuche unternehme, den Bildern von Matthias Keller auf die Schliche zu kommen. Sie erzählen, sicherlich, aber was, das muss jeder für sich selbst herausfinden. Und das ist eine der Stärken seiner Malerei. Ich kann Ihnen nur Vorschläge machen. Sie müssen selbst schauen. Eines verspreche ich Ihnen: diese Bilder bergen die positive Gefahr, dass man sich in ihnen verliert. Man entdeckt immer wieder Neues, Anderes.

 

Matthias Keller zitiert gern aus der Kunstgeschichte – siehe oben im Bild „nighthawks“ – und geht auch hier gelassen mit der Vorlage um: dem Marat, den wir tot in der Badewanne kennen, schenkt er das Leben. Mondrians Bild baut er in ein farbig geschichtetes Monument ein, schneidet ihm aber hemmungslos die eine oder andere Farbfläche ab. Er macht keinen Hehl daraus, dass er sich in einer Tradition sieht. Und dass diese Tradition ihn immer wieder zur Auseinandersetzung herausfordert.

 

Matthias Keller ist auch in dieser Hinsicht ein sehr ernsthafter Künstler, der mit den Vorbildern und Vorgängern umgeht, sich beeinflussen lässt, sich herausfordern lässt.

Gerhard Richter, den er sehr schätzt, weil er so authentisch in seinen vielen Wandlungen ist, lässt er gar zum Akteur eines Bildes werden – als Maler. Und das nennt er dann auch noch ironisch: „The judge doesn´t lie“ – „Der Richter lügt nicht“ oder „Der Richter liegt nicht“. Ein Plädoyer für die Authentizität im Wandel. Ein Wandel, der vielleicht jenen Mann, der da schreiend am Boden liegt, wahnsinnig macht – weil er da nicht mithalten kann.

 

Aber Matthias Kellers Credo: Der Künstler darf nicht dahin kommen, sich immer nur noch selbst zu zitieren. Eine Falle, die wohl auch der Kunstmarkt stellt – wer baut nicht gern auf dem Erfolg auf, setzt auf das Rezept, das einmal gelungen ist. Matthias Keller selbst ist da skeptisch! Und erlaubt sich den Wandel.

 

Ein meisterhafter Zeichner ist er, wie er in seiner letzten Ausstellung 2011 hier in der Plattform 3/3 mit seinen Grafit-Zeichnungen bewiesen hat und die Sie im Katalog sehen können. Ein guter Handwerker, der sich getrost erlauben kann, mit seinem Können zu spielen. Erst die Beherrschung des Handwerkes, so seine Überzeugung, mache frei für die Kunst. Exaktheit und Chaos auf den farbigen Gemälden – stets in der Form des Quadrates – gehen Hand in Hand. Das vermeintliche Durcheinander des Bildinhalts steht im Kontrast mit einer exakten Linienführung und auch mit einem virtuosen Spiel mit den Farben. So baut sich eine Spannung auf, die diesen Bildern sehr gut tut. Und die den Betrachter fesseln kann.

 

Konstruktiv und konstruiert sind seine streng in ihren Rändern gehaltenen Farbflächen, die er innerhalb dieser Ränder in weichen Übergängen verlaufen lässt. Diese Flächen und Streben und Lagen bilden Räume, suggerieren Tiefe, durchaus auch inhaltliche Tiefe. Treppen führen irgendwohin. Häuser verlieren das Gleichgewicht, als hätte – wie in dem Bild „offshore h(e)aven“ – ein Sturm oder eine Welle sie durcheinander gewirbelt. Und sollte jemand hier die reale Küste, den Hafen auch nur wittern wollen, dessen Imagination wird spätestens mit sich in stilisierten Wellen verwirbelnden Fliesenmustern der Garaus gemacht.

 

Matthias Keller erschafft Bilderwelten, die Ihresgleichen suchen. Ganz eigen und doch eingebunden in eine Tradition. Ganz frei und doch aufgehoben in einer handwerklichen Könnerschaft.

 

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Als ich ihn neulich in seinem Atelier in Markdorf besuchte, sagte er mir: „Von mir aus trägst du einfach nur das Jandl-Gedicht vor.“ Er hatte es bei einem lyrisch-musikalischen Spaziergang von mir gehört. Natürlich ist Ernst Jandl klasse. Und natürlich hat das Gedicht seinen besonderen Reiz. Aber was es mit den Arbeiten von Matthias Keller zu tun haben könnte, das weiß ich jetzt noch nicht. Vielleicht finden Sie es heraus. In die Jahreszeit passt es allemal.

 

Also zum Schluss der kleine Vierzeiler von Ernst Jandl für Matthias Keller:

 

 

Ernst Jandl

Sommerlied

Wir sind die menschen auf den wiesen

Bald sind wir mnschen unter den wiesen

Und werden wiesen, und werden wald

Das wird ein heiterer landaufenthalt

 

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©: Dr. Friederike Lutz

Robert-Koch-Straße 33

88048 Friedrichshafen

 

 

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