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Christina Ossowski                                                                                                                                                        24.02.2014

 

parallele welten

 

 

 

Der Maler soll nicht bloß mahlen was er vor sich sieht, sondern auch das, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich so unterlasse er auch zu mahlen, was er vor sich sieht. Sonst werden seine Bilder den spanischen Wänden gleichen, hinter denen man nur Kranke und Tote erwartet.

C.D. Friedrich, um 1830

 

 

Bei Matthias Kellers Bild „ deus ex machina“ kommt dem kunstsinnigen Betrachter unweigerlich Caspar David Friedrichs Gemälde „Das Eismeer“ (Kunsthalle Hamburg) in den Sinn. Hier türmen sich Bruchstücke von Mauern – Kristallen ähnlich – auf, dort sind es Eisschollen und die Reste eines untergegangenen Schiffes. Beide Kompositionen sind Sinnbilder der Zerstörung und Resignation, zeigen unverkennbar die Vergänglichkeit menschlichen Tuns ebenso wie das Fehlen menschlicher  Kommunikation. Im Unterschied zu dem Maler der Romantik, der auf die Anwesenheit von Menschen ganz verzichtet, gibt es bei Keller zwei Akteure. Der eine, durch Palette und Pinsel als Maler erkenntlich, schwebt in extrem verkürzter Darstellung am oberen Bildrand, so als wäre er durch eine Eruption in die Luft geschleudert worden. Gleichzeitig tritt eine weiß gekleidete Person energischen Schritts in das Geschehen. Könnte sie Ordnung in das Chaos bringen?

Glaubt man dem Bildtitel ist sie eine übernatürliche Kraft oder Gottheit, die mit Hilfe einer Bühnenmaschinerie hervorkommt.

 

Hier öffnet sich dem Betrachter die eigenartige Kunstwelt des Matthias Keller, die geprägt ist von Begeisterung für das absurde Theater mit seinen irrealen Szenerien. Da begegnen sich Dinge und Handlungen, die jeglicher Logik entbehren. Gleichzeitig nimmt der Theaterfreund Anleihen bei der antiken Tragödie. Diese geht davon aus, dass sich tragische Konflikte nicht von den Menschen allein lösen lassen. Ihre Auflösung erfolgt erst durch das überraschende Eingreifen von Gottheiten. Ein solches Rettung versprechendes Wesen findet sich allerdings nur in diesem einzigen Bild. In den anderen Fällen stellt der Maler grotesk-komische oder irreale Szenerien dar, die von seinen grundsätzlichen Zweifeln an den herkömmlichen rationalistischen Kultur- und Denksystemen zeugen. Es herrschen Unordnung und Verwirrung, Unsicherheit und schwankender Grund.

Ganz im Sinne Hegels erschafft er „Gestalt(en) eines Chaos von Zufälligkeiten; Willkür von Zuständen, Begebenheiten und Charakteren“. (G.F.W. Hegel, Vorlesung über Ästhetik, 1832)

 

Da gibt es in „nightmare“ den von Angst und Panik beherrschten Träumer, bedrängt von einem  übermächtigen Gebilde berstender Architekturteile und Alltagsgegenstände. Gleichzeitig findet er sich in einem Bild im Bilde als Angeklagter vor Gericht wieder.

 

Das in zwei Fassungen vorliegende Bild „ bon soir monsieur“ versetzen einen Maler in kellerartige Räume, in denen ein Wirrwarr von Kisten und Kästen herrscht. Nur zwischen dem Maler und den menschlichen Physiognomien, die er auf seine Leinwand gebannt hat, entspinnt sich ein Dialog. Der Emblematik radikaler Destruktion wird die Kunst der Darstellung realer Menschen entgegengesetzt.

 

Noch unbeherrschbarer tritt das Chaos der Alltagswelt in „atelierstilleben“ zu Tage. Ein  unkenntlich bleibender Fotograf mit Stativ am linken Bildrand beobachtet den aussichtslosen Versuch eines anderen Mannes, die chaotische Szenerie zu verlassen. Nicht zufällig gibt es Stühle in unterschiedlicher Form – eine Anspielung auf Ionescos Einakter „Die Stühle“. Wie in dem Absurden Theater werden die Kellerschen Figuren  in ihrer Sinnsuche gründlich frustriert.

 

Jede dieser Bildfindungen drängt sich als Ausdruck einer Weltsicht auf, die das Gefühl von Sinnentleerung mit tragischen und komischen Elementen verbindet. Dabei sind alle Leinwände farbenfroh und zum Teil hyperrealistisch ausgeführt – das Absurde entsteht erst durch die Parallelität von Welten, die so nicht der alltäglichen Erfahrung entsprechen und denen damit der offensichtliche Sinn fehlt.

 

Matthias Keller versteht seine Malerei aber auch als eine Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Schaffen anderer. Neben C.D. Friedrich sind es Piet Mondrian und Gerhard Richter, die ihn herausfordern.

Zweifellos setzen seine kristallinen Kompositionen einen Kontrapunkt zum Ordnungssinn eines Mondrian. Trotzdem errichtet er dem abstrakten Konstruktivisten in „m…monument“ ein Denkmal, indem neben einem Zitat Mondrians sein übliches Konstrukt aus Brettern, Stangen und Kästen in diesem Fall sorgsam rechwinklig aufgeschichtet wird. Freilich kann dieses Bauwerk nicht befriedigen, denn es bleibt instabil und so wacklig, dass der Zusammenbruch vorprogrammiert erscheint. Der ordnende rechte Winkel ist für Keller eine Illusion.

Eine weitere konträre malerische Position nimmt Gerhard Richter ein, der im Mittelpunkt des Bildes „the judge doesn`t lie“ mit einer großen Rakel Farben auf der Leinwand verteilt. Diese Art seines Farbauftrags, der ohne vorherige Idee oder Konzept erfolgt, war jüngst in einem Kinofilm über den erfolgreichen Maler zu sehen. Nach eigenem Bekenntnis möchte Richter die Produktivität der Natur nachahmen.

Hinter Richters Staffelei brechen in Mathias Kellers Bild Welten zusammen. Am vorderen Bildrand schreit ein Verzweifelter. Geht es um die Frage eines künstlerischen Weges zwischen Abstraktion und Figuration? Die alogisch erscheinende Verbindung von Unvereinbarem  findet auch in dem Wortspiel des Bildtitels Widerhall. Dieser könnte ebenso gut lauten „Der Richter lügt nicht“ wie auch „Der Richter liegt nicht“.

 

Matthias Kellers Suche nach einer ihm adäquaten Ausdrucksform und damit nach dem Sinn seines künstlerischen Schaffens wird auch in anderen Bildern zum Thema. Ob nun ein Kunsthändler im Atelier zur Bedrohung wird, ein  Wandbild ohne absehbares Ende weitergemalt werden muss oder ein Mann sinnbildhaft Wolken durch eine wohlgeordnete, aber gleichzeitig übermächtige Stadt trägt – die Fragilität künstlerischer Existenz klingt stets mit an.

 

Gleichzeitig zeigen die gleichförmigen Bildquadrate die Vorstellung des Künstlers von der Simultaneität des Lebens, der Seelenzustände und der Empfindungen. Im Geiste des Surrealismus sind die Erscheinungen alogisch miteinander verbunden. Durch die Kombinatorik und Kontrastkopplung werden Antonymien  wie Realität und Traum oder Vernunft und Wahnsinn aufgehoben.

 

Eine zeitkritische Position nehmen die drei Fassungen  von „Jeux dangereux“ ein. Halluzinatorisch wird in diesen „Gefährlichen Spielen“ die Realität in Frage gestellt.  Sein oder nicht sein in dieser chaotischen Welt schwankender und einstürzender Bauten – das ist die Frage. Welche Rolle kann darin der einzelne Mensch spielen? Soll er wie Sysiphos immer wieder aufs Neue den Stein den Berg hinauf rollen, ohne je ans Ziel zu gelangen? Oder soll er in ewiger Wanderschaft seinen viel zu schweren Rucksack tragen, der ihn gleichsam erdrücken wird?  Wie viel schöner ist der Traum vom Balancieren auf einem Seil hoch in den Lüften ohne jede Last…

Der Maler Matthias Keller ist ein kritisch beobachtender Mensch, der nach Bildern für die Gefährdungen durch die fortschreitende Zivilisation sucht. Er will anregen und sensibilisieren, indem er seine eigenen Ängste schonungslos in Sinnbilder verpackt. Die Originalität seiner künstlerischen Ideen verfolgt dieses immer gleich bleibende Anliegen.

 

Dennoch können seine Welten radikaler Destruktion auch schön sein. Mit „naica I und II“ bezieht sich Keller auf die gleichnamigen Höhlen der Kristalle im mexikanischen Bundesstaat Chichuahua. Dort finden sich einmalige, bis zu 14  Meter lange Riesenkristalle  mit einem Umfang von bis zu 2 Metern. Sie haben den Maler zu den kristallinen, verschachtelten Räumen angeregt, die keine geordnete Wahrnehmung  zulassen, denn eine Form durchdringt die nächste, nichts ist stabil, alles stürzt ineinander. In den verwirrenden Details ist jede formale Logik außer Kraft gesetzt. Und doch sind diese Bilder schön, vergleichbar einem Kaleidoskop, in dem nach jedem Schütteln ein neues geometrisches Bild aus farbigen Glassplittern entsteht. Das Kristaline wird hier zum Kunstsymbol.

 

Der Kritiker Marco Schacher meinte zuletzt, dass Matthias Keller ein Multitalent sei, das nichts von Schubladendenken hält und sich im Niemandsland der Stile wohl fühlt.

Das wird augenfällig wenn man den farbenintensiven Acrylbildern seine zeichnerisch brillanten, detailgenauen Graphitzeichnungen gegenüberstellt.

In den Zeichnungen überwiegen die surrealen Motive, wenn beispielsweise in Galerieräumen die Beine der Schachspieler von Wasserwellen umspielt werden oder  Schweine im Sinne des Sprichworts Perlen vor sich her treiben.

 

Wie viel Zweifel an der Sinnhaltigkeit der Welt und den darin nach Orientierung suchenden Menschen in Kellers Bildfindungen mitschwingt lässt die Zeichnung mit dem Titel „die gehängten“ erahnen. Er hat sie seinem Vater im Geist, dem Architekten und Maler H.A. Erdle, gewidmet. So absurd und komisch das Motiv der aufgehängten Bilder zusammen mit den aufgehängten Männer auf den ersten Blick wirkt so viel Tragik drücken diese entblößten Leiber aus.

Matthias Keller weiß: Künstler sein heißt, sich dem Scheitern auszusetzen. Im besten Fall finden sich Gleichgesinnte.

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